Quelle: https://www.presseportal.de/pm/119465/5107266
In der eisigen Arktis am abgelegensten Zipfel Europas liegen Berge von Plastikmüll, die dort nicht hingehören. Der Norden des Archipels Spitzbergen ist komplett unbewohnt. Auf der kleinen Insel Chermsideøya gibt es im Umkreis von hunderten Kilometern keine Zivilisation. Trotzdem finden die AutorInnen des Buches „Spitzbergen – Arktische Abenteuer unter Nordlicht und Mitternachtssonne“ am Kiesstrand der Insel unzählige Putzmittelflaschen, Joghurtbecher und Plastikspielzeug, tausende feine Nylonschnüre aus der Fischereiindustrie, große Plastikfässer und Motorölbehälter.

Eisbär auf Nahrungssuche mit Fischernetz aus Plastik / Foto: Christian Bruttel
Der Müll stammt nicht etwa von den wenigen EinwohnerInnen Spitzbergens, sondern er wird tausende Kilometer mit dem nördlichsten Ast des Golfstroms bis hierhin angeschwemmt. In vielen Ländern der Welt gibt es kein Müllsammel- oder Recyclingsystem. Die Abfälle werden immer noch direkt ins Meer gekippt oder in Flüsse entsorgt. Dazu gehört nicht nur der direkt sichtbare Plastikmüll, wie Einkaufstüten, Verpackungen oder neuerdings auch OP- und FFP2-Masken, sondern auch Mikroplastik aus den Synthetikfasern unserer Kleidung, das über Waschmaschinen in die Abwässer ins Meer gelangen, oder die gigantischen Tonnen Reifenabrieb von unseren Autos. Auch diese mikroskopisch kleinen Plastikteile sind bereits hier im hohen Norden angekommen. ForscherInnen vom Alfred-Wegener- Institut in Bremerhaven haben herausgefunden, dass in einem Liter Meereis teilweise mehr als 12.000 Mikroplastikteilchen stecken.
Der Buchautor Christian Bruttel, der auf Spitzbergen lebt und als Arctic Nature Guide arbeitet, beobachtet seit 10 Jahren das rasant wachsende Plastikmüllproblem. Der traurige Höhepunkt seiner Beobachtungen ist, als er einen Eisbären auf Nahrungssuche fotografiert, der ein riesiges grünes Fischernetz aus Plastik aus dem Wasser zieht. Auf einer anderen Insel fällt Christian Bruttel ein Rentier auf, in dessen Geweih sich so viel Plastik verfangen hat, dass es offensichtlich sehr beeinträchtigt ist bei der Nahrungssuche, denn es ist so stark abgemagert, dass einzelne Knochen bereits aus dem Fell schauen.

Plastikmüll hat nun auch den letzen Winkel dieser Erde erreicht. Dieses Rentier ist kurz davor, daran zu verenden / Foto: Christian Bruttel
Plastikabfälle sind auch für alle anderen Meeresbewohner eine tödliche Falle: Bierdosenringe strangulieren Seevögel, in alten Fischernetzen verenden Wale und Vögel fressen kleine Plastikteile, die sie mit Nahrung verwechseln. Mittlerweile haben über 90 Prozent aller verendeten Vögel Plastik im Magen.
Auf Spitzbergen gibt es seit ein paar Jahren die Aufräumaktion „CleanUp Svalbard“. Schiffsreisende werden mit Müllsacken ausgestattet und wenn sie in entlegenen Regionen an Land gehen, helfen sie, an den Stränden Plastik aufzusammeln. Anschließend bringen sie die gefüllten Säcke mit an Bord des Schiffes. Vor allem bei kleinen und engagierten Reisegruppen entwickelt sich eine gewisse Dynamik, weil geradezu ein Wettkampf entsteht, wer den meisten Müll sammelt. Zwar wird durch solche Aktionen an den Küsten nur verhältnismäßig wenig Plastik aus der Umwelt entfernt, aber der Lerneffekt ist hoch und es fordert das Umdenken. Durch die sammelnden Reisegruppen kommen außerdem Forschungsdaten zusammen, denn die Säcke mit Plastik werden bei Ankunft im Hafen zur Auswertung übergeben. ForscherInnen vom Alfred-Wegener-Institut konnten viele Plastikteile über Aufschriften oder Prägungen den Verursacherländern zuordnen und stellten fest: 7 % des Mülls kamen aus Deutschland