Eine Berliner Geschichte von Anneliese Klumbies
Vorbemerkung
Der Text ist dem Buch „ Knut. Der Bär, die Stadt und der Zoo “ entnommen, letzte Auflage Januar 2014. Er wurde im Sommer 2012 geschrieben und in den folgenden Auflagen leicht verändert und hauptsächlich im Anhang aktualisiert. Der folgende Text ist eine gekürzte und mit Bildern versehene Ausgabe.
Zu den Bildern: Alle Bilder aus Knuts „Säuglingsphase“ und seiner frühen Kinderzeit sind vom Berliner Zoo, dem RBB oder bekannten Tageszeitungen und Presseagenturen veröffentlicht worden. Sie sind über verschiedenen Quellen im Internet zugänglich. Auch das Blog „World of Animals“ hatte ständig in Wort und Bild über das Ereignis Knut berichtet, denn Hartmuth Wiedenroth war der größte Verehrer von Knut. Er ist leider am 3. Juni 2011 gestorben, kurz nach Knut. Wir erlauben uns, uns dieser Bilder zu bedienen. Spätere Bilder stammen von Freunden und von mir.
Wir wollen mit dieser höchst subjektiven Dokumentation einem Bären Reverenz erweisen, der 2007 Berlin, Deutschland und die ganze Welt erobert hat. Aus der Vorbemerkung des Buches:
Aktuelle Vorbemerkung Februar 2013
Die Hauptperson dieses Buches ist der Eisbär Knut, geboren 2006, gestorben 2011. Knut war ein exemplarisches Zootier und eine besondere Tierpersönlichkeit. Ich habe Knut ein Denkmal setzen wollen, und ich wollte ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, weil er es in seinem kurzen Leben im Berliner Zoo nicht so gut gehabt hat, wie es möglich gewesen wäre. Indem ich Stationen und Episoden aus seinem Leben schildere, will ich an Knut erinnern und an die außerordentliche Aufmerksamkeit, die er weltweit fand. Ich will versuchen, diese Aufmerksamkeit und Faszination ein wenig zu verstehen.
Wir hoffen nun sehr, dass diese Würdigung des Eisbären Knut ein wohlwollendes Leserpublikum findet. Wir haben uns Mühe gegeben, wissen aber, dass die Erinnerungen an Knut und die Reflexionen über ihn ganz unterschiedlich sein können.
Hamburg und Paris im Januar 2015
Anneliese Klumbies und Brigitte Glinel (verantwortlich für die technische Umsetzung)
Für Monika Bäcker, die durch eine schwere Krankheit beinahe den Lebensmut verloren hätte.
Da kam Knut.
Errettung und Euphorie
Dies ist die Geschichte von einem Bären, der unter die Menschen fiel. Sein Leben verlief dramatisch und endete tragisch. Auf der Strecke blieben die Hauptbeteiligten, Thomas Dörflein und Knut, außerdem einige Personen aus der „zweiten“ Reihe.
Hier ist Knut
Knut wurde zusammen mit einem Bruder am 5. Dezember 2006 geboren. Tosca, die Mutter, hatte schon mehrmals Jungtiere zur Welt gebracht, die sie aber nie anzunehmen und aufzuziehen vermochte.
So waren die zuständigen Menschen vorbereitet, als Tosca zwar zunächst die richtigen Reflexe zeigte, dann aber wieder einmal nicht genügend Ausdauer bewies.
Die engagierten Tierpfleger und Tierärzte hatten eine Idee, wie sie diesmal die neugeborenen Jungtiere vor der „pflichtvergessenen“ und vom Zirkus geschädigten Mutter Tosca in Sicherheit bringen konnten. Eine lange Stange wurde bereitgehalten, die zugänglichen Quellen zur Handaufzucht von Eisbärenbabys aus Bibliotheken und dem Internet studiert, die passende Nahrung und Medikamente besorgt, der Brutkasten (eigentlich für Papageieneier) gereinigt und mit kuscheligem Fell ausgelegt.

Tosca fühlte vage, was zu tun war. Als sie unsicher die Säuglinge ins Maul nahm, herumtrug, erfolglos an die Brust legte, wieder fallen ließ, und all das sich wiederholte, bis sie am Ende unschlüssig hin- und herwanderte, rollte Thomas Dörflein schließlich die Jungen mit Hilfe der bereitliegenden Stange heran, nahm sie und ging an die Arbeit.
Die Geschichtsschreibung über Knut begann sechs Wochen nach seiner Geburt, weil man die kritische erste Zeit abwarten wollte, bevor man seine Existenz offenbarte. Der Bruder war nach vier Tagen an einer Infektion gestorben.
Mitte Januar 2007 gab der Zoo Knuts Geburt bekannt. Mit sensationeller Wirkung. Man war es gewohnt, Geburten und familiäre Ereignisse aus der Welt des Adels, der Hochfinanz und der Glitzerwelt der Stars zumindest mit einer Schnipselmeldung auch in den seriösen Zeitungen mitgeteilt zu bekommen. Jetzt aber schlich sich ein winziges Bärenbaby mit noch dünnem weißen Pelz in die Tratsch- und Klatsch-Spalten. Die anrührende glückliche Botschaft von Knuts Errettung durch Menschenhand war das Eintrittsbillett in die Welt der Medien. Beigefügt war in den meisten Zeitungen ein Foto von Knut, das zeigte, wie ihm von einer menschlichen Hand die Fußsohle gestreichelt oder gekitzelt wird. Das Bärchen scheint davon angetan, es hebt die Eisbärenarme und zeigt die breite rosa Zunge. Es liegt wie ein Prinz auf königsblauem Samt. Später erfuhren wir, es war der Schlafsack von Thomas Dörflein. Wie winzig das Baby war, sah man im Verhältnis zur Größe der Hand, die es hielt.







Die Leser mochten sich erstaunt fragen, wann sie je in ihrem Leben so ein winziges Eisbärchen gesehen hätten. Im Berliner Zoo jedenfalls waren seit der Geburt eines Eisbären-Jungtieres dreißig Jahre vergangen. Das ist allerdings nicht ganz exakt, denn geboren wurden schon einige, aber sie konnten nicht groß gezogen werden. Eisbärenmütter sind sensible Tiere, und wenn sie beunruhigt sind und irgendetwas in ihrer Umgebung oder mit dem Jungtier nicht stimmt, neigen sie dazu, den Nachwuchs zu ignorieren. Oder aber zu fressen.
Man erinnerte sich nun: 1986 war im Ost-Berliner Tierpark Friedrichsfelde ein Eisbär geboren worden, dessen Mutter Aika ihm ebenfalls die Fürsorge verweigerte. So kam Björn Heinrich in die Familie der Tierpflegerin Veronika Buchholz. Man hatte so gar keine Erfahrungen und nahm ihn in der eigenen Wohnung auf wie ein drittes Kind. Alle machten ihre Sache gut. Er wuchs und gedieh, spielte mit seinen menschlichen Geschwistern und der Schmerz war groß, als die Trennung nach einem Jahr vollzogen wurde. Es war wie die Trennung von einem Kind. Bei einem Besuch der Tierpflegerin und Ziehmutter nach über 20 Jahren gab es kein äußerlich bemerkbares Wiedererkennen von Seiten Björn Heinrichs. Frau Buchholz aber war bewegt. Björn Heinrich zeugte Nachwuchs und starb am 30.6.2011, 24 Jahre alt, in dem serbischen Zoo Palic, nicht lange nach Knuts Tod. Seine Mutter Aika lebt noch heute im Tierpark und ist glücklich (oder aber gestraft, wer weiß?) mit dem imposanten Eisbären Troll, ungewöhnlich groß und schön und gelegentlich tyrannisch. Mittlerweile ist die zweijährige Tonja aus Russland dazugestoßen, die man als Gefährtin für Knut vorgesehen hatte. Bei aller Kritik am Verhalten der Zooleitung in Sachen Knut, für diesen Neuzugang ist sie zu loben. Knut hatte leider nichts mehr davon.